Skitourismus als Verstädterung


 

LANDLEBEN ABSEITS DER BLÜHENDEN METROPOLEN
Skitourismus als Verstädterung, die Angst vor dem Wolf und der Tante-Emma-Laden
Sabine Strobl, TT spricht mit Alpenforscher Werner Bätzing übers Landleben und sein neues Buch.

 

Sabine Strobl, TT: Ihr Blick zurück zeigt, dass im Europa des Mittelalters das Land- und das Stadtleben gleichwertig waren. Welche Ideen können wir daraus gewinnen? 

Werner Bätzing: Dass das Land die Stadt braucht, ist ja klar. Aber auch die Stadt braucht das Land als Regulator. Nur beide zusammen können ein gutes Leben ermöglichen. Meine zentrale Überzeugung ist, dass wir die mittelalterlichen Erfahrungen modernisieren können. Womit wir zwei unterschiedliche Lebens- und Wirtschaftsräume haben, die auf eine verschiedene Weise organisiert sind, die aber gemeinsam ein Ganzes bilden und einander wechselseitig bereichern.


Mitreden tut man ja schon. Die Stadtbevölkerung diskutierte zuletzt engagiert Skigebietserweiterungen. 

Bätzing: In meiner Bewertung steuern gerade die großen Tourismusgebiete, besonders die Skigebiete, in Richtung Verstädterung. Bevölkerung und Gäste pro Quadratkilometer bilden eine Dichte, die städtische Qualitäten hat. Besser gesagt, vorstädtische Qualitäten. Damit haben diese scheinbar erfolgreichen Regionen alle Probleme der Zwischenstadt: eine stark wachsende Besiedlung bis hin zur Zersiedlung, hohe Wohn- und Grundstückspreise, hohe Lebenskosten. Dies ist verbunden mit viel Verkehr, einer fehlenden Identität infolge des starken Wachstums und großen Umweltproblemen. Die Wirtschaft hat eine schwierige Ausgangslage, weil sie von dieser Mono­struktur "Skifahren" abhängt. Das ist für mich Verstädterung des ländlichen Raums.


Ist der Tourismus trotzdem eine Chance für den ländlichen Raum?

Bätzing: Ja, in dezentralen Formen, wo der Tourismus bewusst nicht die regionale Wirtschaft dominiert, sondern eine ergänzende und zusätzliche Wirtschaftsfunktion hat. 


Auch das Thema Wolf beschäftigt derzeit Stadt und Land. Warum sieht Letztere den Beutegreifer eher kritischer?

Bätzing: Es geht meines Erachtens gar nicht konkret um den Wolf. Mit der Thematik sind Grundsatzängste verbunden. Menschen auf dem Land haben Angst, dass sie abgehängt werden sollen. In ihrer Wahrnehmung wollen Städter aus dem Land eine Wildnis machen, in der sie selbst keine Lebensmöglichkeiten mehr haben. Diese Angst ist nicht nur in Tirol vorhanden.


Die ursprüngliche Aufgabe des Landes ist die Nahrungsmittelherstellung in einer Kulturlandschaft. Haben Bio und Regionalität noch Luft nach oben?

Bätzing: Meine große Hoffnung ist, dass sich hier noch viel mehr entwickeln könnte und vor allem müsste. Ich habe das Gefühl, dass die konventionelle Landwirtschaft am Anschlag ist. Schauen Sie sich die Entwicklung an. Die Betriebe werden immer größer. Tirol ist kein Beispiel dafür, aber in Ostdeutschland sind die Betriebe richtig riesig. Die Tendenz geht zu nur noch wenigen agroindustriellen Betrieben. Meine große Angst ist, dass die Lebensmittel dieser Agroindustrie auf Dauer gesundheitsgefährdend sind.


Zuletzt war zu lesen, dass der Tante-Emma-Laden zurückkommt. Folgt der Bäcker nach?

Bätzing: Das kann ich mir vorstellen, aber nur in multifunktionalen Strukturen, das heißt, dass verschiedene Aktivitäten miteinander verbunden werden, um ausreichend Umsatz zu machen. Wenn der Metzger mit dem Bäcker und anderen eng zusammenarbeitet und wenn man Gesamtpakete anbietet, kann es funktionieren. Es braucht eine multifunktionale Angebotsstruktur auf dem Land. Und die Menschen vor Ort müssen die Produkte kaufen.


Wo funktioniert Landleben am ehesten?

Bätzing: Aus meiner Sicht ist Österreich derjenige Staat in Europa, der dem Land noch den größten Stellenwert zugesteht. Zusammen mit den skandinavischen Staaten. Das hängt meines Erachtens mit der alten Tradition des aufgeklärten Absolutismus zusammen, der noch auf positive Weise spürbar ist. Der Staat fühlt sich für den gesamten Raum verantwortlich und konzentriert sich nicht nur auf die blühenden Metropolen. Natürlich wird diese Einstellung unterhöhlt. In Skandinavien ist der Stellenwert des Landes auf die sozialdemokratische Tradition zurückzuführen. Doch das Ergebnis ist ähnlich, das finde ich wichtig. 


Tiroler Tageszeitung 15. März 2020