Andrea Marra berichtet in ihrem BLOG
"Obwohl die Tulfer Hütte sich äußerlich im Lauf der Jahrzehnte verändert hat, ist sie im Kern immer noch so geblieben, wie der Flachlandbewohner sich eine Hütte im Gebirge vorstellt. Ursprünglich vollkommen aus Holz gebaut und mit dem typischen geschnitzten Balkon versehen, sind ihre Wände heute weiß und ein neues Dach schützt vor den Naturgewalten.Die Modernisierung betraf natürlich, eigentlich sollte ich sagen »Gott sei Dank« auch die sanitären Anlagen. Ich erinnere mich noch an ein Holzhäusl, wie man es aus Filmen, Geschichten und Witzen kennt, welches in geringer Entfernung zur Hütte der Notdurft der Gäste diente. Das war wirklich ulkig: Von oben, von der Piste her kommend, befand sich das Häusl mit dem geschnitzten Herzchen in der Tür, die von innen mit einem Holzriegel verschlossen wurde, links der Hütte. Wenn man sich nun also gewissen Bedürfnissen entsprechend da hinein setzte, so konnte man durch die winzig kleinen Schlitze in dem alten Holz dieses Bretterklos die Umgebung beobachten, zum Beispiel die ankommenden Skifahrer. Gerne besuchte man im Winter diese Örtlichkeit nicht, die kalte Zugluft konnte recht unangenehm sein. Dennoch übte das Häusl eine Faszination aus, so etwas war selbst damals schon selten und ein Unikum, dieses Freiluftklo.
Die Häusl-Faszination
Ich erinnere mich schmunzelnd an die Aussentoilette, die fand ich so lustig. »Uuuh«, sagt sie und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, »was hatte ich immer für ein Theater wegen des Häusls! Da sind die Weiberleut raus und hockten da drinnen, und von oben kamen die Lausbuben auf den Ski angefahren. Die Weiber im Häusl da mit runterglassener Hosen, und die Buben haben Schnee genommen und durch das Herzlfenster reingeschmissen, was ein Geschrei! Die sind dann in die Hütte und haben sich bei mir beschwert, aber was hätt ich denn da machen sollen? Die Lauser waren doch längst über alle Berge, man hätt nie rausfinden können, wer das war. Na, und später dann der Ärger mit dem Häusl, weil es weg sollte wegen der Hygiene. Bis 1972 war ich Hüttenwirtin, dann hab ich aufgehört.« Das Häusl mit dem von tausenden Händen abgegeschliffenen blanken Holzgiff der Sitzabdeckung dürfte Anfang der siebziger Jahre entfernt worden sein.
Innen sieht es in der Hütte noch genauso aus wie seit Urzeiten. Die Holzvertäfelung und die Möbel sind so geblieben, und auch der seitliche Anbau wurde im Stil passend ausgeführt. Die Hütte betritt man durch einen Flur, auf dessen Dielen die Stiefel der neu ankommenden Gäste selbige geräuschvoll ankündigten, die Küche lag rechts bevor man die heimelige Gaststube betrat. Die anstelle des Häusl neu installierten Gästetoiletten befanden sich linksseitig, und es war dort nicht weniger kalt als in dem Holzhäusl draußen...
In der Küche waltete zu Zeiten unserer ersten Urlaube eine Dame namens Luise, die müsste heute um die neunzig Jahre alt sein und sie ist, wie mir berichtet wurde, noch immer rüstig unterwegs am Berg. Die Luise trug ein blau weißes gemustertes Kittelkleid, so steht mir bis heute das Bild einer »richtigen« Hüttenwirtin vor Augen. Die Speisekarte war klein, und es gab deftig-kräftige Küche, deren Duft durch die alte Gaststube zog.
Ein Skitag endete eigentlich immer in der Tulfer Hütte
Konnte man bei guten Schneeverhältnissen bis nach Tulfes abfahren, so wurde in der Tulfer Hütte eingekehrt, die ganze Gruppe wärmte sich dort bei Jagertee auf - die Kinder bekamen natürlich etwas anderes - und später nahm man die Abfahrt ins Dorf zur Talstation. Waren die Schneeverhältnisse nicht mehr dementsprechend, so fuhren am Morgen die Männer mit mehreren Autos zur Hütte hinauf, ließen die Wagen etwas unterhalb stehen, und fuhren in einem Wagen wieder zur Talstation, wo dieser eine Wagen dann abgestellt wurde. Am Ende des Skitages wurden die Ski auf den Autos verstaut, und die ganze Gruppe fuhr den Tulfer Berg hinunter, der verbliebene Wagen wurde am Parkplatz abgeholt und es ging zurück zum Hotel Geisler.
Ich erinnere mich an einen großartigen Sturz meines Großvaters an der Tulfer Hütte. Mit dem zum Skifahren erforderlichen Beugen der Knie hatte er es nicht so, auch das rechtzeitige Bremsen blieb ihm oft fremd. So war ich eines Tages schneller als er an der Hütte angekommen, und er kam angeschossen. Es ist mir bis heute schleierhaft, warum er keinen Bogen fuhr und bremste. Er kam in Schussfahrt in einem Tempo den Hang hinunter, daß ich dachte, er fährt vorbei und weiter, der hat vergessen wo er hin will. Er wurde dann von einem Schneehaufen kurz oberhalb der Hütte aufgehalten, in den er kopfüber hineinstürzte und so zwangsgebremst wurde. Als er sich aus dem Schnee herausgewühlt hatte, sah er aus wie ein Schneemann. Sehend das er sich nichts gebrochen hatte, war das sehr lustig, er betrat die Hütte schneebehangen bis in die Ohren. Zu schade, dass man so etwas damals nicht spontan filmen konnte, das war eine Slapsticknummer vom Feinsten.
Da es uns Kindern in der Gaststube manchmal langweilig wurde, wenn die Erwachsenen ihren heißen Tee genossen, gingen wir nach draussen zum Spielen. Ein tolles Spiel war »Tablettrodeln«. Die Plastiktabletts, auf denen die Getränke serviert wurden, eigneten sich hervorragend dazu. Die Aktion war etwas gefährlich, da man schnell ein ungeheures Tempo anschlug, wenn man den Hintern auf so einem Tablett gesetzt den Hang hinunterrutschte. Bremsen ging manchmal nicht mehr, so warfen wir uns seitwärts zum stoppen, und das herrenlose Tablett schoß ohne Kapitän talwärts. Diese wiederholten Tablettverluste machten die Wirtsleute natürlich mit der Zeit sauer, und es lagen dann keine Tabletts mehr draussen herum, die wir hätten nehmen können. Daraufhin probierten wir das Rodeln mit Plastiktüten.
März 2013 - Ein Besuch bei der ehemaligen Hüttenwirtin Luise
Nachdem ich in Windegg das kleine Holzkirchlein fotografiert habe, gehe ich weiter hoch, um das Haus von Luise, der ehemaligen Wirtin der Tulferhütte zu suchen. Ein bißchen komisch ist es ja schon, als »wildfremder« Mensch einfach so an einem Haus zu klingeln, aber nach Nennung der Namen meiner Eltern und Großeltern weiß Luise gleich, zu welchem »Clan« ich gehöre. So sitzen wir in ihrer Küche, ich bekomme Bier und extra für mich geröstete Brötchen mit Speck.
Wie war das eigentlich damals, frage ich sie, immer neugierig auf Geschichten und Lebensumstände der sogenannten »guten alten Zeiten«. Auf meine Bitte sucht sie auch noch ein paar Fotoalben heraus.
Sie hatte noch neun Geschwister, und nach Tulfes sei sie im Alter von 22 Jahren gekommen. Als sich die Gelegenheit bot, wurde sie 1964 die Wirtin der Tulferhütte. Da war richtig viel los, es gab noch keine Skilifte, also übernachteten auch noch Gäste auf der Hütte. Immer war viel zu tun, man konnte vernünftig verdienen, das es lohnt, und an ihre Zeit dort als Wirtin erinnert sie sich gern. Wir blättern die Seiten der Fotoalben um, betrachten das Foto eines Mannes in einem großen Lastwagen, den linken Arm am Fenster, in die Kamera lachend - ihr Mann. Ein eigenes Haus bauten sie, eben dieses, in dem wir sitzen, und ihr Mann hat mit dem LKW das Baumaterial heraufgefahren. Die gut ausgebaute Straße, die ich heute hinaufgegangen bin, sei damals noch ein Schotterweg gewesen, nicht ganz ungefährlich mit dem breiten LKW herauf zu fahren, und erst das Wenden! Einige wenige Fotos von Luise auf der Hütte. Ein Waschzuber. Eine Waschmaschine hatte sie nicht, wer hatte damals schon so einen Luxus, heute ist das normal. Im Sommer hat sie die Wäsche draussen vor der Hütte im Zuber gewaschen, mit einem Waschbrett. Ich erinnere mich schmunzelnd an die Aussentoilette, die fand ich so lustig. »Uuuh«, sagt sie und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, »was hatte ich immer für ein Theater wegen des Häusls! Da sind die Weiberleut raus und hockten da drinnen, und von oben kamen die Lausbuben auf den Ski angefahren. Die Weiber im Häusl da mit runterglassener Hosen, und die Buben haben Schnee genommen und durch das Herzlfenster reingeschmissen, was ein Geschrei! Die sind dann in die Hütte und haben sich bei mir beschwert, aber was hätt ich denn da machen sollen? Die Lauser waren doch längst über alle Berge, man hätt nie rausfinden können, wer das war. Na, und später dann der Ärger mit dem Häusl, weil es weg sollte wegen der Hygiene. Bis 1972 war ich Hüttenwirtin, dann hab ich aufgehört.«
Wir kommen aufs Skifahren zu sprechen, ich erzähle ihr von meinem lustigen Spezialkurs mit alten Ski und das ich gar nicht mehr als Schneepflug im Schneckentempo geschafft habe. Ihr Mann, sagt sie stolz, der konnte gut fahren, und führt mich zu einer Vitrine voller Preise und Anstecker. Die hat er alle gewonnen, und wenn ich so alte Anstecker gern mag, darf ich mir zwei aussuchen.
Nächstes Jahr werde ich Luise wieder besuchen.
Luise Erlacher , geboren 25.3.1920 - gegangen am 19.1.2014 ... Danke für die nette Küchen-Stunde, die spontane herzliche Gastfreundschaft und die Geschichten und Bilder von einst...
Andrea Marra, Retromoden Hamburg